Dienstag, 29. August 2017

Tsunami als Friedensstifter


Thomas Trubatsch & Laura Wiebelitz, 29.08.2017

Am heutigen Tag in Aceh trafen wir uns mit mehren Gesprächspartnern, die den Friedensprozess nach dem Tsunami in tragenden Funktionen beeinflussten. Im sogenannten Kernteam verhandelten fünf Mitglieder der Exilregierung der Bewegung Freies Aceh (GAM) mit fünf Vertretern der indonesischen Regierung bei den Friedensverhandlungen in Helsinki im Jahr 2005. Wir hatten die Möglichkeit, mit den zwei ehemaligen Sprechern der GAM (Bahtiar Abdullah und Munawar Liza Zain) über die Friedensgespräche zu diskutieren. Beide waren an den Friedensgesprächen 2005 beteiligt. Im Verlauf des Gesprächs taten sich neue Perspektiven und Inhalte auf, um so den von 1976 bis 2005 andauernden bewaffneten Konflikt besser verstehen zu können.

Blessing in disguise 

Bis 2005 standen sich die indonesische Zentralregierung und die GAM in einem blutigen Unabhängigkeitskrieg gegenüber. Der Tsunami vom 26.12. 2004, bei dem in Aceh rund 170.000 Menschen ums Leben kamen, gilt als Katalysator der Friedensgespräche. Aufgrund der enormen Notlage erhöhte sich der Druck auf beide Seiten, den Konflikt auf politischem Wege beizulegen. Am 19.01.2005 saßen sich die GAM und die indonesische Regierung erstmals am Verhandlungstisch in Helsinki gegenüber. Unter Vermittlung des ehemaligen finnischen Präsidenten Martti Ahtisaari verhandelte das Kernteam, jeweils unterstützt von einem Supportteam sieben Monate, um eine friedliche Beilegung des Konflikts zu erreichen. Die Tatsache, dass der Tsunami den Friedensprozess in Aceh immens beschleunigte, führte dazu, dass die bei der Diskussion anwesenden Vertreter den Tsunami als ein „Blessing in disguise“, sprich als „Glück im Unglück“, bezeichneten.

Diskussion mit den beiden GAM-Sprechern:
Bahtiar Abdullah und Munawar Liza Zain


Nothing is agreed until everything is agreed

Aufgrund der außergewöhnlichen Situation nach dem Tsunami fehlte laut Aussage der Vortragenden der GAM jegliche Verhandlungsgrundlage, wodurch der Ausgang der Gespräche komplett offen war. Wichtige Verhandlungsforderungen auf Seiten der GAM waren unter anderem die Freilassung von politischen Häftlingen, die Zulassung lokaler Parteien bei freien Wahlen, eine Amnestie für alle GAM-Mitglieder und der Abzug überzähliger indonesischer Truppen aus Aceh. Die Vertreter der indonesischen Zentralregierung wiederum forderten den Verbleib Acehs als Provinz Indonesiens und die Entwaffnung aller GAM-Kämpfer. Nach ingesamt fünf Verhandlungsrunden herrschte in allen Verhandlungsthemen weitestgehend Einigung, wodurch das Memorandum of Understanding (MoU) am 15.08.2005 unterschrieben werden konnte. Dies hatte eine sofortigen Waffenstillstand, der bis heute anhält, sowie den Fortbestand Acehs als autonome Provinz Indonesiens zur Folge.

Langfristiger Frieden?

Doch auch nach zwölf Jahren Frieden beherrschen immer noch Spannungen zwischen Banda Aceh und Jakarta das politische Klima, welche jederzeit das Potential besitzen, den Konflikt neu aufflammen zu lassen. Grund dafür sind zu einem mangelnde Implementierung des Memorandum of Understandings und die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem Status der Autonomie Acehs. Ersichtlich wurde dies für uns bei einer emotionalen Debatte über die Einführung einer acehischen Flagge, welche sich bis heute in einer rechtlichen Grauzone befindet. Der Frieden in Aceh währt zwar bereits seit zwölf Jahren, eine langfristige Prognose wagte dennoch keiner der anwesenden Vertreter zu treffen.

Gespräch mit zwei Kommissionären des KKR

Aufarbeitung des Friedensprozesses

Nach den beindruckenden Gesprächen mit einem Teil des Kernteams der Friedensverhandlungen, folgte am Nachmittag der Besuch und das Gespräch mit zwei von sechs Kommissionären der Wahrheits- und Versöhnungskommission Acehs (Komisi Kebenaran dan Rekonsiliasi, KKR). Die KKR hat die Aufgabe, Menschenrechtsverbrechen, die während des Konfliktes begangen wurden, zu dokumentieren  und Versöhnungsprozesse zwischen Opfern und Tätern einzuleiten und zu begleiten. Die jeweiligen Schicksale werden in einem ausgiebigen Prozess geprüft, erforscht und abschließend veröffentlicht.  Einen Großteil der aufwendigen Aufarbeitung soll von Studenten auf Voluntärbasis geschehen, da die Finanzierung der Arbeit des KKR bisher nicht gesichert ist. Obwohl die KKR eine offizielle Institution der Provinz Aceh ist, bleibt ihre Finanzierung weit hinter dem eigentlichen Bedarf zurück. Die KKR sucht daher die Unterstützung internationaler Geldgeber. Es überraschte daher wenig, dass zu unserem Besuch auch die Presse geladen wurde, um Medieninteresse zu schaffen.

Interview von Dr. Stange mit lokalen Fernsehsendern 




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