Mittwoch, 30. August 2017

Moschee als Zuflucht – Evakuierungsstrategien nach dem Tsunami

Julia Kogseder & Anna Schmidt

Zentrales Thema des heutigen Tages waren die Rettungs- und Evakuierungsstrategien in Aceh während des Tsunamis 2004 sowie die aktuellen Herausforderungen und Lösungsansätze in diesem Bereich. Hierzu hatten wir die Möglichkeit, ein Gespräch mit einem ortsansässigen Überlebenden des Tsunamis zu führen, der sich sehr engagiert mit möglichen Strategien für eine erfolgreichere Katastrophenevakuierung beschäftigt. Außerdem besuchten wir die sogenannte „Tsunami-Moschee“, wo uns der dortige Mukim (Vorsteher mehrerer Dörfer) seine Erlebnisse schilderte.

Ilham Munawar Siddiq – Geschichte eines Überlebenden


Foto 1: Gespräch mit Ilham Munawar Siddiq

Ilham Munawar Siddiq, ein 28-jähriger Ingenieur, erlebte den Tsunami in seinem Heimatort in einem der vom Tsunami am stärksten betroffenen Gebiete der Region. In diesem schmalen Abschnitt zwischen der Küste und dem bergigen Hinterland existierten vor dem Tsunami keinerlei Erfahrungen im Umgang mit derartigen Naturkatastrophen. Zudem fehlten Möglichkeiten und Infrastruktur zur Evakuierung.
Ilham und seinen beiden Schwestern gelang es, rechtzeitig weit genug ins Landesinnere zu gelangen, um der Tsunamiwelle zu entgehen, während seine Mutter im Chaos der Flucht ums Leben kam. Zuvor hatten die drei Kinder bereits ihren Vater in dem bewaffneten Konflikt verloren, weshalb sie nun als Waisen auf sich selbst gestellt waren. Sie leben heute in Banda Aceh, wo Ilham sein Studium absolvierte und durch seine Tätigkeit als Englischlehrer seine Schwestern finanziell unterstützt.

Probleme und Lösungsansätze in der Evakuierung


Im Rahmen seines derzeitigen Praktikums bei einer amerikanischen NGO verfasste Ilham eine wissenschaftliche Publikation, in welcher er Probleme im aktuellen Katastrophenmanagement aufzeigt und Lösungsstrategien entwickelt.
Dabei ergab sich, dass die derzeitige Vorbereitung im Katastrophenfall gravierende Mängel aufweist, insbesondere was die Aufklärung der Menschen in gefährdeten Gebieten betrifft. Besonders erstaunlich ist, dass es derzeit nur vier staatliche Evakuierungsgebäude in Banda Aceh gibt, welche maximal 6.000 Menschen Platz bieten. Katastrophenprävention ist jedoch derzeit keine Priorität in der nationalen Agenda, weshalb trotz der steigenden Einwohnerzahl von Aceh keine weiteren Evakuierungsgebäude gebaut werden. Wie sich beim Sumatrabeben von 2012 zeigte, wurden allerdings trotz einer Tsunamiwarnung die bestehenden Schutzgebäude von der Bevölkerung kaum genutzt, da es an Vertrauen in staatliche Schutzmaßnahmen mangelt. Der Glaube, dass kein von Menschen gebautes Gebäude vor der Katastrophe Schutz bieten könne, ist in den Gemeinden tief verankert und führte dazu, dass die Betroffenen eher in einer Moschee Zuflucht suchten. Nur 12% der Bevölkerung nutzten die Schutzgebäude in ihrer unmittelbaren Nähe. Ein weiteres großes Problem ist, dass in vielen Gemeinden nur eine einzige Fluchtstraße existiert, welche im Katastrophenfall sofort überlastet ist und so keine schnelle Flucht ermöglicht.
Als Lösungsstrategie schlägt Ilham unter anderem vor, in jeder Gemeinde Krankenschwestern und sogenannte „Fluchtexperten“ auszubilden, welche die schnellsten Fluchtwege kennen und die Evakuierung koordinieren. 
Dafür sollten Evakuierungspläne mit unterschiedlichen Fluchtwegen entwickelt und der Bevölkerung zugänglich gemacht werden. Als weitere Idee könnten Moscheen zu Fluchtgebäuden ausgebaut werden, in denen sich die Menschen sicher genug fühlten, um dort Schutz zu suchen.

Die „Tsunami-Moschee“ und „Gampong Turki“ 


Foto 2: Die "Tsunami Moschee" unmittelbar nach der Katastrophe 2004

Foto 3: Die wiederaufgebaute "Tsunami Moschee" bei unserem Besuch 30.08.2017

Anschließend trafen wir uns bei der sogenannten „Tsunami Moschee“ im sogenannten "Gampong Turki“ (Türkisches Dorf). Sie war das einzige Gebäude in diesem Ort, das der enormen Wucht des Tsunamis standhalten konnte. Hier berichtete uns der Mukim wie er und sein Dorf den Tsunami erlebten und wie der Wiederaufbau verlief.

Foto 4: Hinweisschild auf das türkische Dorf "Gampong Turki"

Vor dem Tsunami lebten knapp 6000 Menschen in diesem Dorf, von denen nur 900 überlebten. Dabei waren tragischerweise auch ein Waisenhaus und eine Koranschule besonders stark betroffen. Im Anschluss an den Tsunami stellte die Versorgung der Überlebenden die größte Herausforderung dar. Der Mukim war für die Verteilung der Güter verantwortlich, für die er zuerst die tatsächliche Zahl der Überlebenden ermitteln musste. Im Zuge des Wiederaufbaus entstanden bis zum Jahr 2008 mit besonderer Unterstützung des Türkischen Roten Halbmondes 701 Häuser. Dabei rekonstruierten die Bewohner den ursprünglichen Standort ihrer Häuser aus dem Gedächtnis.
„Der Tsunami war eine Prüfung Gottes. Manche haben sie bestanden und sind bei Verstand geblieben, viele andere leider nicht“, waren die abschließenden Worte des Mukim. 


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